Nussknacker, Mammuts und Mausekönig
Eine kleine Erinnerung an unsere Weihnachts-Spielstunde am 19.12.2015, in der ihr Klavierschüler ja Bearbeitungen von Tschaikowskis Nussknacker-Kompositionen gespielt und euch auch mit anderen Aktionen beteiligt habt:
Nun könnt ihr euch den Text der Geschichte in aller Ruhe noch einmal durchlesen oder vorlesen lassen:
Nussknacker, Mammuts und Mausekönig
eine Geschichte von M.P.G. Hoffmammpf,
einem sehr frühen Vorfahren des Dichters E.T.A. Hoffmann.
Dies ist die Originalgeschichte, wie sie sich die Mammuts vor 40.000 Jahren erzählten.
Sie wurde später von E.T.A. Hoffmann durch genauere Schilderungen ergänzt. Außerdem fügte er eine neue Hauptperson hinzu: Den Uhrmacher Drosselmeier!
(Aber die Mammuts ahnten ja vorher noch nichts von den Möglichkeiten der Mechanik ;-)
Noch später bearbeitete Alexandre Dumas diesen Stoff, vor allem kürzte er die Handlung.
Zu dieser neuen-neuen Geschichte schrieb Peter Iljitsch Tschaikowski die Musik, und so wird sie auch oft als Ballett aufgeführt.
Hier also nun sozusagen die Urfassung ohne UHR aber mit Musik!
Präludium in aller Kürze: Das Märchen von der harten Nuss
Dieses Märchen erzählten sich die Mammuts auf ihren langen Wanderungen, sie wussten also, wer der Nussknacker in Wahrheit wahr, als sie später die Geschichte von Hoffmammpf hörten:
Fest am Hofe des Königs, es sollten selbstgemachte Würste gereicht werden. Die Königin höchstselbst übernahm es, Speck dafür zu braten.
Der Duft lockte Frau Mauserinks, Königin von Mausolien, hervor. Sie bekam etwas von dem Speck ab, aber das lockte ihre Familie an, insbesondere die sieben Söhne futterten fast den ganzen Speck weg.
Das Fest begann, die Würste wurden gereicht aber sie schmeckten nicht so gut wie sonst, der König sank fast in Ohnmacht. Die Königin erzählte ihm von den Mäusen, es wurden Mausefallen aufgestellt gefüllt mit Speck.
Die Mäusekönigin war zu klug, aber fast ihre ganze Familie, darunter die sieben Söhne, wurden gefangen und getötet.
Frau Mauserinks schwor Rache, sie werde die Königstochter zernagen.
Süße und bildschöne kleine Prinzessin Pirlipat, nun wurde ihre Wiege von Wärterinnen mit Katzen bewacht. Aber als einmal auch die Katzen schliefen, machte sich Frau Mauserinks über Pirlipat her und verzauberte sie:
Statt des weiß und roten goldgelockten Engelsköpfchens saß ein unförmlicher dicker Kopf auf einem winzig kleinen zusammengekrümmten Leibe, die azurblauen Äugelein hatten sich verwandelt in grüne hervorstehende starrblickende Augen, und das Mündchen hatte sich verzogen von einem Ohr zum andern.
König und Königin waren verzweifelt, zwei Diener sollten ein Gegenmittel finden.
Das fanden sie in der besonders harten Nuss Krakatuk: Die Nuss Krakatuk hatte eine solche harte Schale, dass eine achtundvierzigpfündige Kanone darüber wegfahren konnte, ohne sie zu zerbrechen. Diese harte Nuss musste aber von einem Manne, der noch nie rasiert worden und der niemals Stiefeln getragen, vor der Prinzessin aufgebissen und ihr von ihm mit geschlossenen Augen der Kern dargereicht werden. Erst nachdem er sieben Schritte rückwärts gegangen, ohne zu stolpern, durfte der junge Mann wieder die Augen erschließen.
15 Jahre irrten die beiden Männer durch die Welt, bis sie sie in Nürnberg fanden. Sie nahmen die Nuss und ihren Besitzer mir zum König, der versprach, wenn seine Tochter erlöst würde, dürfte der Erlöser sie heiraten.
Der junge Mann nahm die Nuss Krakatuk zwischen die Zähne, zerbiss sie, reichte der Prinzessin den Kern, sie verschluckte ihn und war wieder wunderschön.
Der junge Mann musste ja aber noch die sieben Schritte rückwärts gehen, aber kurz vor dem letzten Schritt erschien Frau Mauserinks. Der Mann trat auf sie, sterbend quiekte sie:
"O Krakatuk, harte Nuss an der ich nun sterben muss - hi pi pi fein Nussknackerlein wirst auch bald des Todes sein Söhnlein mit den sieben Kronen, wird's dem Nussknacker lohnen, wird die Mutter rächen fein, an dir du klein Nussknackerlein o Leben so frisch und rot, von dir scheid ich, o Todesnot! Quiek "
Und war plötzlich war der Junge so missgestaltet wie vorher die Prinzessin: Der Körper war zusammengeschrumpft und konnte kaum den dicken ungestalteten Kopf mit großen hervorstechenden Augen und dem breiten entsetzlich aufgähnenden Maule tragen. Statt des Zopfes hing ihm hinten ein schmaler hölzerner Mantel herab, mit dem er den untern Kinnbacken regierte.
Einen so hässlichen Mann wollte die Prinzessin nicht heiraten. Er und die beiden Diener wurden des Hofes verwiesen. Der eine meinte aber im Horoskop des Jungen zu lesen dass er trotz seiner Missgestalt Prinz und König werden würde. Das gelänge aber nur, wenn er den Sohn der Frau Mauserinks, den sie nach dem Tod ihrer sieben Söhne mit sieben Köpfen geboren hatte, tötete. Und es müsse ihn eine Dame trotz seiner Hässlichkeit lieben.
Jaja, so ist das nun einmal im Märchen!
Der Weihnachtsabend
Am vierundzwanzigsten Dezember durften die Kinder des Medizinalrats Stahlbaum den ganzen Tag über durchaus nicht in die Mittelstube hinein, viel weniger in das daranstoßende Prunkzimmer. In einem Winkel des Hinterstübchens zusammengekauert, saßen Fritz und Marie, die tiefe Abenddämmerung war eingebrochen und es wurde ihnen recht schaurig zumute, als man, wie es gewöhnlich an dem Tage geschah, kein Licht hereinbrachte. Fritz entdeckte ganz insgeheim wispernd der jüngern Schwester (sie war eben erst sieben Jahr alt geworden) wie er schon seit frühmorgens es habe in den verschlossenen Stuben rauschen und rasseln, und leise pochen hören. [ ]
Es war ganz finster geworden. Fritz und Marie fest aneinandergerückt, wagten kein Wort mehr zu reden, es war ihnen als rausche es mit linden Flügeln um sie her und als ließe sich eine ganz ferne, aber sehr herrliche Musik vernehmen. Ein heller Schein streifte an der Wand hin, da wussten die Kinder, dass nun das Christkind auf glänzenden Wolken fortgeflogen zu andern glücklichen Kindern. In dem Augenblick ging es mit silberhellem Ton: Klingling, klingling, die Türen sprangen auf, und solch ein Glanz strahlte aus dem großen Zimmer hinein, dass die Kinder mit lautem Ausruf: "Ach! Ach!" wie erstarrt auf der Schwelle stehenblieben. Aber Papa und Mama traten in die Türe, fassten die Kinder bei der Hand und sprachen: "Kommt doch nur, kommt doch nur, ihr lieben Kinder und seht, was euch der Heilige Christ beschert hat."
Die Gaben
[ ] Der große Tannenbaum in der Mitte trug viele goldne und silberne Äpfel, und wie Knospen und Blüten keimten Zuckermandeln und bunte Bonbons und was es sonst noch für schönes Naschwerk gibt, aus allen Ästen. Als das Schönste an dem Wunderbaum musste aber wohl gerühmt werden, dass in seinen dunkeln Zweigen hundert kleine Lichter wie Sternlein funkelten und er selbst in sich hinein- und herausleuchtend die Kinder freundlich einlud seine Blüten und Früchte zu pflücken. Um den Baum umher glänzte alles sehr bunt und herrlich was es da alles für schöne Sachen gab ja, wer das zu beschreiben vermöchte!
Marie erblickte die zierlichsten Puppen, allerlei saubere kleine Gerätschaften und was vor allem schön anzusehen war, ein seidenes Kleidchen mit bunten Bändern zierlich geschmückt, hing an einem Gestell so der kleinen Marie vor Augen, dass sie es von allen Seiten betrachten konnte und das tat sie denn auch, indem sie ein Mal über das andere ausrief: "Ach das schöne, ach das liebe liebe Kleidchen: und das werde ich ganz gewiss das werde ich wirklich anziehen dürfen!" Fritz hatte indessen schon drei- oder viermal um den Tisch herumgaloppierend und -trabend das neue Stoff-Mammut versucht, das er am Tisch angelehnt gefunden. Nun meinte er, dass es sich gut in seine Sammlung solcher Urzeittiere einfügen würde. [ ]
Der Schützling
[ ] Marie mochte sich absolut nicht von dem Weihnachtstisch trennen, weil sie eben etwas noch nicht Bemerktes entdeckt hatte. [ ] Durch das Herausnehmen von Fritzens Mammut, das dicht an dem Baum gestanden, war nämlich ein sehr vortrefflicher kleiner Mann sichtbar geworden, der still und bescheiden dastand, als erwarte er ruhig, wenn die Reihe an ihn kommen werde. Gegen seinen Wuchs wäre freilich vieles einzuwenden gewesen, denn abgesehen davon, dass der etwas lange, starke Oberleib nicht recht zu den kleinen dünnen Beinchen passen wollte, so schien auch der Kopf bei weitem zu groß. Vieles machte die propre Kleidung gut, welche auf einen Mann von Geschmack und Bildung schließen ließ. Er trug nämlich ein sehr schönes violettglänzendes Husarenjäckchen mit vielen weißen Schnüren und Knöpfchen, ebensolche Beinkleider, und die schönsten Stiefelchen, die jemals an die Füße eines Studenten, ja wohl gar eines Offiziers gekommen sind. Sie saßen an den zierlichen Beinchen so knapp angegossen, als wären sie darauf gemalt. Komisch war es zwar, dass er zu dieser Kleidung sich hinten einen schmalen unbeholfenen Mantel, der recht aussah wie von Holz, angehängt, und ein Bergmannsmützchen aufgesetzt hatte. [ ]
"Ach!" rief Marie endlich aus: "ach lieber Vater, wem gehört denn der allerliebste kleine Mann dort am Baum?" "Der", antwortete der Vater, "der, liebes Kind! soll für euch alle tüchtig arbeiten, er soll euch fein die harten Nüsse aufbeißen, [ ]" Damit nahm ihn der Vater behutsam vom Tische, und indem er den hölzernen Mantel in die Höhe hob, sperrte das Männlein den Mund weit, weit auf, und zeigte zwei Reihen sehr weißer spitzer Zähnchen. Marie schob auf des Vaters Geheiß eine Nuss hinein, und knack hatte sie der Mann zerbissen, dass die Schalen abfielen, und Marie den süßen Kern in die Hand bekam. Nun musste wohl jeder und auch Marie wissen, dass der zierliche kleine Mann aus dem Geschlecht der Nussknacker abstammte, und die Profession seiner Vorfahren trieb. Sie jauchzte auf vor Freude, da sprach der Vater: "Da dir, liebe Marie, Freund Nussknacker so sehr gefällt, so sollst du ihn auch besonders hüten und schützen, unerachtet, wie ich gesagt, Luise und Fritz ihn mit ebenso vielem Recht brauchen können als du!" Marie nahm ihn sogleich in den Arm, und ließ ihn Nüsse aufknacken, doch suchte sie die kleinsten aus, damit das Männlein nicht so weit den Mund aufsperren durfte, welches ihm doch im Grunde nicht gut stand. [ ]
Fritz war unterdessen vom vielen [ ] Herumrennen mit den Mammuts müde geworden, und da er so lustig Nüsse knacken hörte, sprang er hin zu den Schwestern, und lachte recht von Herzen über den kleinen drolligen Mann, der nun, da Fritz auch Nüsse essen wollte, von Hand zu Hand ging, und gar nicht aufhören konnte mit Auf- und Zuschnappen. [ ] Nun probierte er es selber aus, aber er schob immer die größten und härtesten Nüsse hinein, aber mit einem Male ging es krack krack und drei Zähnchen fielen aus des Nussknackers Munde, und sein ganzes Unterkinn war lose und wacklig. "Ach mein armer lieber Nussknacker!" schrie Marie laut, und nahm ihn dem Fritz aus den Händen. [ ]
Marie suchte Nussknackers verlorene Zähnchen zusammen, um das kranke Kinn hatte sie ein hübsches weißes Band, das sie von ihrem Kleidchen abgelöst, gebunden, und dann den armen Kleinen, der sehr blass und erschrocken aussah, noch sorgfältiger als vorher in ihr Tuch eingewickelt. So hielt sie ihn wie ein kleines Kind wiegend in den Armen, und besah die schönen Bilder des neuen Bilderbuchs, das heute unter den andern vielen Gaben lag. [ ]
Marien fing an sehr zu grauen, [ ] da ging ein tolles Kichern und Gepfeife los rundumher, und bald trottierte und lief es hinter den Wänden wie mit tausend kleinen Füßchen und tausend kleine Lichterchen blickten aus den Ritzen der Dielen. Aber nicht Lichterchen waren es, nein! kleine funkelnde Augen, und Marie wurde gewahr, dass überall Mäuse hervorguckten und sich hervorarbeiteten. Bald ging es trott - trott - hopp hopp in der Stube umher - immer lichtere und dichtere Haufen Mäuse galoppierten hin und her, und stellten sich endlich in Reihe und Glied, so wie Fritz seine [ ] Mammuts zu stellen pflegte, wenn es zur [ ] Parade gehen sollte. Das kam nun Marien sehr possierlich vor, und da sie nicht, wie manche andere Kinder, einen natürlichen Abscheu gegen Mäuse hatte, wollte ihr eben alles Grauen vergehen, als es mit einem Mal so entsetzlich und so schneidend zu pfeifen begann, dass es ihr eiskalt über den Rücken lief! Ach was erblickte sie jetzt! Nein, wahrhaftig, geehrter Leser [ ] hättest du das gesehen, was Marien jetzt vor Augen kam, wahrhaftig du wärst davongelaufen, ich glaube sogar, du wärst schnell ins Bett gesprungen und hättest die Decke viel weiter über die Ohren gezogen als gerade nötig. Ach! das konnte die arme Marie ja nicht einmal tun, denn hört nur Kinder! dicht vor ihren Füßen sprühte es wie von unterirdischer Gewalt getrieben, Sand und Kalk und zerbröckelte Mauersteine hervor und sieben Mäuseköpfe mit sieben hellfunkelnden Kronen erhoben sich recht grässlich zischend und pfeifend aus dem Boden. Bald arbeitete sich auch der Mausekörper, an dessen Hals die sieben Köpfe angewachsen waren, vollends hervor und der großen mit sieben Diademen geschmückten Maus jauchzte in vollem Chorus dreimal laut aufquiekend das ganze Heer entgegen, das sich nun auf einmal in Bewegung setzte und hott, hott trott trott ging es ach geradezu auf den Schrank geradezu auf Marien los, die noch dicht an der Glastüre des Schrankes stand. Vor Angst und Grauen hatte Marien das Herz schon so gepocht, dass sie glaubte, es müsse nun gleich aus der Brust herausspringen und dann müsste sie sterben; aber nun war es ihr, als stehe ihr das Blut in den Adern still. Halb ohnmächtig wankte sie zurück, da ging es klirr - klirr -prr und in Scherben fiel die Glasscheibe des Schranks herab, die sie mit dem Ellbogen eingestoßen. Sie fühlte wohl in dem Augenblick einen recht stechenden Schmerz am linken Arm, aber es war ihr auch plötzlich viel leichter ums Herz, sie hörte kein Quieken und Pfeifen mehr, es war alles ganz still geworden, und, obschon sie nicht hinblicken mochte, glaubte sie doch, die Mäuse wären von dem Klirren der Scheibe erschreckt wieder abgezogen in ihre Löcher.
Aber was war denn das wieder? Dicht hinter Marien fing es an im Schrank auf seltsame Weise zu rumoren und ganz feine Stimmchen fingen an:
"Aufgewacht aufgewacht wolln zur Schlacht noch diese Nacht aufgewacht auf zur Schlacht."
Und dabei klingelte es mit harmonischen Glöcklein gar hübsch und anmutig! "Ach das ist ja mein kleines Glockenspiel", rief Marie freudig, und sprang schnell zur Seite.
Da sah sie wie es im Schrank ganz sonderbar leuchtete und herumwirtschaftete und hantierte. Es waren mehrere Puppen, die durcheinanderliefen und mit den kleinen Armen herumfochten. Mit einem Mal erhob sich jetzt Nussknacker, warf die Decke weit von sich und sprang mit beiden Füßen zugleich aus dem Bette, indem er laut rief:
"Knack - knack - knack - dummes Mausepack dummer toller Schnack - Mausepack - Knack Knack - Mausepack - Krick und Krack - wahrer Schnack."
Und damit zog er sein kleines Schwert und schwang es in den Lüften und rief: [ ] "Helft mir, meine lieben Mammuts [ ] Sogleich stürzten auch sie sich [ ] nach dem begeisterten Nussknacker, der den gefährlichen Sprung wagte, vom obern Fach herab. Ja! jene hatten gut sich herabstürzen, denn nicht allein dass sie langes, wolliges Haar [ ] trugen, so war inwendig im Leibe auch nicht viel anders als Baumwolle und Häcksel, daher plumpten sie auch herab wie Wollsäckchen. Aber der arme Nussknacker, der hätte gewiss Arm und Beine gebrochen, denn, denkt euch, es war beinahe zwei Fuß hoch vom Fache, wo er stand, bis zum untersten, und sein Körper war so spröde als sei er geradezu aus Lindenholz geschnitzt. Ja Nussknacker hätte gewiss Arm und Beine gebrochen, wäre, im Augenblick als er sprang, nicht auch Mamsell Clärchen schnell vom Sofa aufgesprungen und hätte den Helden mit dem gezogenen Schwert in ihren weichen Armen aufgefangen. "Ach du liebes gutes Clärchen!" schluchzte Marie, "wie habe ich dich verkannt, gewiss gabst du Freund Nussknackern dein Bettchen recht gerne her!" [ ]
Sowie Nussknacker herabspringt, geht auch das Quieken und Piepen wieder los. Ach! unter dem großen Tische halten ja die fatalen Rotten unzähliger Mäuse und über alle ragt die abscheuliche Maus mit den sieben Köpfen hervor! Wie wird das nun werden?
Wunderdinge
Bei Medizinalrats in der Wohnstube, wenn man zur Türe hineintritt gleich links an der breiten Wand steht ein hoher Glasschrank, in welchem die Kinder all die schönen Sachen, die ihnen jedes Jahr einbeschert worden, aufbewahren. [ ]
Oben war das Fach für die Bilderbücher, die beiden untersten Fächer durften Marie und Fritz anfüllen wie sie wollten, jedoch geschah es immer, dass Marie das unterste Fach ihren Puppen zur Wohnung einräumte, Fritz dagegen in dem Fache drüber seine Mammuts [ ]Quartiere beziehen ließ. So war es auch heute gekommen, denn, indem Fritz seine Mammuts [ ] oben aufgestellt, hatte Marie unten Mamsell Trutchen beiseite gelegt, die neue schön geputzte Puppe in das sehr gut möblierte Zimmer hineingesetzt, und sich auf Zuckerwerk bei ihr eingeladen. [ ]
Es war später Abend geworden, ja Mitternacht im Anzuge, [ ] als die Kinder noch gar nicht wegkommen konnten von dem Glasschrank, so sehr auch die Mutter mahnte, dass sie doch endlich nun zu Bette gehen möchten. [ ] Marie aber bat gar sehr: "Nur noch ein Weilchen, ein einziges kleines Weilchen lass mich hier, liebe Mutter, hab ich ja doch manches zu besorgen, und ist das geschehen, so will ich ja gleich zu Bette gehen!"
Marie war gar ein [ ] vernünftiges Kind, und so konnte die gute Mutter wohl ohne Sorgen sie noch bei den Spielsachen allein lassen. Damit aber Marie nicht etwa gar zu sehr verlockt werde von der neuen Puppe und den schönen Spielsachen überhaupt, so aber die Lichter vergäße, die rings um den Wandschrank brennten, löschte die Mutter sie sämtlich aus, so dass nur die Lampe, die in der Mitte des Zimmers von der Decke herabhing, ein sanftes anmutiges Licht verbreitete. "Komm bald hinein, liebe Marie! sonst kannst du ja morgen nicht zu rechter Zeit aufstehen", rief die Mutter, indem sie sich in das Schlafzimmer entfernte.
Sobald sich Marie allein befand, schritt sie schnell dazu, was ihr zu tun recht auf dem Herzen lag, und was sie doch nicht, selbst wusste sie nicht warum, der Mutter zu entdecken vermochte. Noch immer hatte sie den kranken Nussknacker eingewickelt in ihr Taschentuch auf dem Arm getragen. Jetzt legte sie ihn behutsam auf den Tisch, wickelte leise, leise das Tuch ab, und sah nach den Wunden. Nussknacker war sehr bleich, aber dabei lächelte er so sehr wehmütig freundlich, dass es Marien recht durch das Herz ging. "Ach, Nussknackerchen," sprach sie sehr leise, "sei nur nicht böse, dass Bruder Fritz dir so wehe getan hat, er hat es auch nicht so schlimm gemeint, er ist [ ] sonst ein recht guter Junge, das kann ich dich versichern. Nun will ich dich aber auch recht sorglich so lange pflegen, bis du wieder ganz gesund und fröhlich geworden. [ ]
Damit nahm Marie den Freund Nussknacker in den Arm, näherte sich dem Glasschrank, kauerte vor demselben, und sprach also zur neuen Puppe: "Ich bitte dich recht sehr, Mamsell Clärchen, tritt dein Bettchen dem kranken wunden Nussknacker ab, und behelfe dich, so gut wie es geht, mit dem Sofa. Bedenke, dass du sehr gesund, und recht bei Kräften bist, denn sonst würdest du nicht solche dicke dunkelrote Backen haben, und dass sehr wenige der allerschönsten Puppen solche weiche Sofas besitzen." [ ]
Sie verschloss den Schrank und wollte ins Schlafzimmer, da horcht auf Kinder! da fing es an leise leise zu wispern und zu flüstern und zu rascheln ringsherum, hinter dem Ofen, hinter den Stühlen, hinter den Schränken. Die Wanduhr schnurrte dazwischen lauter und lauter, aber sie konnte nicht schlagen. [ ]
Immer stärker schnurrte es mit vernehmlichen Worten:
"Uhr, Uhre, Uhre, Uhren, müßt alle nur leise schnurren, leise schnurren. Mausekönig hat ja wohl ein feines Ohr purrpurr pum pum singt nur, singt ihm altes Liedlein vor purr purr pum pum schlag an Glöcklein, schlag an, bald ist es um ihn getan!"
Und pum pum ging es ganz dumpf und heiser zwölfmal!
Die Schlacht
[ ] Nun krackte und klapperte es drinnen und Marie wurde gewahr, dass die Deckel sämtlicher Schachteln worin Fritzens Mammuts [ ] einquartiert waren mit Gewalt auf- und die Urtiere[ ] heraus und herab ins unterste Fach sprangen, dort sich aber in blanken Rotten sammelten. [ ] Nun defilierte Regiment auf Regiment mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel bei Nussknacker vorüber und stellte sich in breiter Reihe quer über den Boden des Zimmers. [ ]
Von dem Spektakel, der nun losging, habt ihr kaum einen Begriff, werte Zuhörer. Das ging Prr - Prr - Puff, Piff - Schnetterdeng - Schnetterdeng - Bum, Burum, Bum - Burum Bum durcheinander und dabei quiekten und schrien Mauskönig und Mäuse, und dann hörte man wieder Nussknackers gewaltige Stimme, wie er nützliche Befehle austeilte [ ]
(Aber er hatte die Rechnung ohne die Mammuts gemacht: Als die Urtier-Armee nämlich gewahr wurde, gegen wen sie antreten sollte, drehte sich die komplette Mannschaft um und trat den Rückzug an. Du musst nämlich wissen, geneigter Leser, dass Mammuts sich vor kaum etwas mehr fürchten als vor Mäusen! Und als sie sich dieser Veranlagung bewusst wurden,, zogen es immer mehr von ihnen vor, doch lieber umzukehren und sich wieder in den Schachteln zu verstecken.
Weil ihnen das ob ihrer gewaltigen Körperfülle niemand glauben möchte, erklären sie bei jeder Gelegenheit, sie wären Pazifisten! Und Vegetarier obendrein!) [ ]
Nun war Nussknacker vom Feinde dicht umringt, in der höchsten Angst und Not, [ ] da schrie er auf in heller Verzweiflung: "Ein Mammut[ ] ein Mammut[ ] ein Königreich für ein Mammut[ ]!" In dem Augenblick packten ihn zwei feindliche Tirailleurs bei dem hölzernen Mantel und im Triumph aus sieben Kehlen aufquiekend, sprengte Mausekönig heran. Marie wusste sich nicht mehr zu fassen, "O mein armer Nussknacker mein armer Nussknacker!" so rief sie schluchzend, fasste, ohne sich deutlich ihres Tuns bewusst zu sein, nach ihrem linken Schuh, und warf ihn mit Gewalt in den dicksten Haufen der Mäuse hinein auf ihren König. In dem Augenblick schien alles verstoben und verflogen, aber Marie empfand am linken Arm einen noch stechenderen Schmerz als vorher und sank ohnmächtig zur Erde nieder.
Die Krankheit
Als Marie wie aus tiefem Todesschlaf erwachte, lag sie in ihrem Bettchen und die Sonne schien hell und funkelnd durch die mit Eis belegten Fenster in das Zimmer hinein.
[ ] Da kam die Mutter herbei und sah sie mit recht ängstlich forschenden Blicken an. "Ach liebe Mutter", lispelte die kleine Marie: "sind denn nun die hässlichen Mäuse alle fort, und ist denn der gute Nussknacker gerettet?" "Sprich nicht solch albernes Zeug, liebe Marie", erwiderte die Mutter, "was haben die Mäuse mit dem Nussknacker zu tun. Aber du böses Kind, hast uns allen recht viel Angst und Sorge gemacht. Das kommt davon her, wenn die Kinder eigenwillig sind und den Eltern nicht folgen. Du spieltest gestern bis in die tiefe Nacht hinein mit deinen Puppen. Du wurdest schläfrig, und mag es sein, dass ein hervorspringendes Mäuschen, deren es doch sonst hier nicht gibt, dich erschreckt hat; genug du stießest mit dem Arm eine Glasscheibe des Schranks ein und schnittest dich [ ] in den Arm, [ ] Gott sei gedankt, dass ich um Mitternacht erwachend, und dich noch so spät vermissend, aufstand, und in die Wohnstube ging. Da lagst du dicht neben dem Glasschrank ohnmächtig auf der Erde und blutetest sehr. Bald wär ich vor Schreck auch ohnmächtig geworden. Da lagst du nun, und um dich her zerstreut erblickte ich viele von Fritzens Mammuts[ ]; Nussknacker lag aber auf deinem blutenden Arme und nicht weit von dir dein linker Schuh." [ ]
Hat jemand von meinen hochverehrtesten Lesern oder Zuhörern jemals den Zufall erlebt, sich mit Glas zu schneiden, so wird er selbst wissen, wie wehe es tut, und welch schlimmes Ding es überhaupt ist, da es so langsam heilt. Hatte doch Marie beinahe eine ganze Woche im Bett zubringen müssen, weil es ihr immer ganz schwindlicht zumute wurde, sobald sie aufstand. Endlich aber wurde sie ganz gesund, und konnte lustig, wie sonst, in der Stube umherspringen.
Im Glasschrank sah es ganz hübsch aus, denn neu und blank standen da, Bäume und Blumen und Häuser, und schöne glänzende Puppen. Vor allen Dingen fand Marie ihren lieben Nussknacker wieder, der, in dem zweiten Fache stehend, mit ganz gesunden Zähnchen sie anlächelte. [ ]
Da sprach sie laut zum Nussknacker: "wenn Sie auch nicht imstande sind, sich zu bewegen, oder ein Wörtchen mit mir zu sprechen, [ ] so weiß ich doch, dass Sie mich verstehen, und es wissen, wie gut ich es mit Ihnen meine; rechnen Sie auf meinen Beistand, wenn Sie dessen bedürfen. [ ] Nussknacker blieb still und ruhig, aber Marien war es so, als atme ein leiser Seufzer durch den Glasschrank, wovon die Glasscheiben kaum hörbar, aber wunderlieblich ertönten, und es war, als sänge ein kleines Glockenstimmchen:
"Maria klein Schutzenglein mein Dein werd ich sein Maria mein."
Marie fühlte in den eiskalten Schauern, die sie überliefen, doch ein seltsames Wohlbehagen. [ ] So schlief sie wohl ein.
Der Sieg
Nicht lange dauerte es, als Marie in der mondhellen Nacht durch ein seltsames Poltern geweckt wurde, das aus einer Ecke des Zimmers zu kommen schien. Es war, als würden kleine Steine hin und her geworfen und gerollt, und recht widrig pfiff und quiekte es dazwischen. "Ach die Mäuse, die Mäuse kommen wieder", rief Marie erschrocken, und wollte die Mutter wecken, aber jeder Laut stockte, ja sie vermochte kein Glied zu regen, als sie sah, wie der Mausekönig sich durch ein Loch der Mauer hervorarbeitete, und endlich mit funkelnden Augen und Kronen im Zimmer herum, dann aber mit einem gewaltigen Satz auf den kleinen Tisch, der dicht neben Mariens Bette stand, heraufsprang.
"Hi - hi - hi - musst mir deine Zuckererbsen deinen Marzipan gehen, klein Ding sonst zerbeiß ich deinen Nussknacker deinen Nussknacker!" So pfiff Mausekönig, knapperte und knirschte dabei sehr hässlich mit den Zähnen, und sprang dann schnell wieder fort durch das Mauerloch. Marie war so geängstigt von der graulichen Erscheinung, dass sie den andern Morgen ganz blass aussah, und im Innersten aufgeregt, kaum ein Wort zu reden vermochte. [ ]
Das war ihr denn aber wohl klar, dass sie um den Nussknacker zu retten, Zuckererbsen und Marzipan hergeben müsse. So viel sie davon besaß, legte sie daher den andern Abend hin vor der Leiste des Schranks. Am Morgen sagte die Medizinalrätin: "Ich weiß nicht, woher die Mäuse mit einemmal in unser Wohnzimmer kommen, sieh nur, arme Marie! sie haben dir all dein Zuckerwerk aufgefressen." Wirklich war es so. Den gefüllten Marzipan hatte der gefräßige Mausekönig nicht nach seinem Geschmack gefunden, aber mit scharfen Zähnen benagt, so dass er weggeworfen werden musste. Marie machte sich gar nichts mehr aus dem Zuckerwerk, sondern war vielmehr im Innersten erfreut, da sie ihren Nussknacker gerettet glaubte.
Doch wie ward ihr, als in der folgenden Nacht es dicht an ihren Ohren pfiff und quiekte. Ach der Mausekönig war wieder da, und noch abscheulicher, wie in der vorvorigen Nacht, funkelten seine Augen, und noch widriger pfiff er zwischen den Zähnen.
"Musst mir deine Zucker[ ]puppen geben, klein Ding, sonst zerbeiß ich deinen Nussknacker, deinen Nussknacker", und damit sprang der grauliche Mausekönig wieder fort Marie war sehr betrübt, sie ging den andern Morgen an den Schrank, und sah mit den wehmütigsten Blicken ihre Zucker[ ]püppchen an. Aber ihr Schmerz war auch gerecht, denn nicht glauben magst du's, meine aufmerksame Zuhörerin Marie! was für ganz allerliebste Figürchen aus Zucker [ ] geformt die kleine Marie Stahlbaum besaß. . [ ] "Ach", rief sie, sich zu dem Nussknacker wendend, [ ]was will ich nicht alles tun, um Sie zu retten; aber es ist doch sehr hart!" Nussknacker sah indessen so weinerlich aus, dass Marie, da es überdem ihr war, als sähe sie Mausekönigs sieben Rachen geöffnet, den unglücklichen Jüngling zu verschlingen, alles aufzuopfern beschloss. Alle Zuckerpüppchen setzte sie daher abends, wie zuvor das Zuckerwerk, an die Leiste des Schranks. [ ]
"Nein das ist zu arg , rief die Medizinalrätin am andern Morgen. "Es muss durchaus eine große garstige Maus in dem Glasschrank hausen, denn alle schönen Zuckerpüppchen der armen Marie sind zernagt und zerbissen." Marie konnte sich zwar der Tränen nicht enthalten, sie lächelte aber doch bald wieder, denn sie dachte: "Was tut's, ist doch Nussknacker gerettet." Der Medizinalrat sagte am Abend, als die Mutter dem Obergerichtsrat von dem Unfug erzählte, den eine Maus im Glasschrank der Kinder treibe: "Es ist doch aber abscheulich, dass wir die fatale Maus nicht vertilgen können, die im Glasschrank so ihr Wesen treibt, und der armen Marie alles Zuckerwerk wegfrisst." [ ]
"Eigentlich", sprach der Medizinalrat, "eigentlich [ ] können wir ja auch eine Falle aufstellen. [ ]Ach wie ging es der armen Marie in der folgenden Nacht! Eiskalt tupfte es auf ihrem Arm hin und her, und rau und ekelhaft legte es sich an ihre Wange, und piepte und quiekte ihr ins Ohr. Der abscheuliche Mauskönig saß auf ihrer Schulter, und blutrot geiferte er aus den sieben geöffneten Rachen, und mit den Zähnen knatternd und knirschend, zischte er der vor Grauen und Schreck erstarrten Marie ins Ohr:
"Zisch aus - zisch aus, geh nicht ins Haus geh nicht zum Schmaus werd nicht gefangen zisch aus gib heraus, gib heraus, deine Bilderbücher all, dein Kleidchen dazu, sonst hast keine Ruh magst's nur wissen, Nussknackerlein wirst sonst missen, der wird zerbissen - hi hi - pi pi - quiek quiek!"
Nun war Marie voll Jammer und Betrübnis sie sah ganz blass und verstört aus, als die Mutter am andern Morgen sagte: "Die böse Maus hat sich noch nicht gefangen", so dass die Mutter in dem Glauben, dass Marie um ihr Zuckerwerk traure, und sich überdem vor der Maus fürchte, hinzufügte: "Aber sei nur ruhig, liebes Kind, die böse Maus wollen wir schon vertreiben. [ ]
Kaum befand sich Marie im Wohnzimmer allein, als sie vor den Glasschrank trat, und schluchzend also zum Nussknacker sprach: "Ach mein lieber guter Herr [ ], was kann ich armes unglückliches Mädchen für Sie tun? Gäb ich nun auch alle meine Bilderbücher, ja selbst mein schönes neues Kleidchen, das mir der Heilige Christ einbeschert hat, dem abscheulichen Mausekönig zum Zerbeißen her, wird er denn nicht doch noch immer mehr verlangen, so dass ich zuletzt nichts mehr haben werde, und er gar mich selbst statt Ihrer zerbeißen wollen wird? O ich armes Kind, was soll ich denn nun tun was soll ich denn nun tun?" Als die kleine Marie so jammerte und klagte, bemerkte sie, dass dem Nussknacker von jener Nacht her ein großer Blutfleck am Halse sitzengeblieben war. [ ] jetzt nahm sie ihn [ ] sehr behutsam aus dem Fache, und fing an, den Blutfleck am Halse mit ihrem Schnupftuch abzureiben.
Aber wie ward ihr, als sie plötzlich fühlte, dass Nussknackerlein in ihrer Hand erwarmte, und sich zu regen begann. Schnell setzte sie ihn wieder ins Fach, da wackelte das Mündchen hin und her, und mühsam lispelte Nussknackerlein: "Ach, werteste Demoiselle Stahlbaum vortreffliche Freundin, was verdanke ich Ihnen alles Nein, kein Bilderbuch, kein Christkleidchen sollen Sie für mich opfern schaffen Sie nur ein einziges mutiges und mächtiges Mammut herbei [ ] für das übrige will ich sorgen, mag es [ ]" Hier ging dem Nussknacker die Sprache aus, und seine erst zum Ausdruck der innigsten Wehmut beseelten Augen wurden wieder starr und leblos. Marie empfand gar kein Grauen, vielmehr hüpfte sie vor Freuden, da sie nun ein Mittel wusste, den Nussknacker ohne weitere schmerzhafte Aufopferungen zu retten. Aber wie [ ] nun ein Mammut [ ] für den Kleinen auswählen [ ]? Marie beschloss, Fritzen zu Rate zu ziehen, und erzählte ihm abends, als sie, da die Eltern ausgegangen, einsam in der Wohnstube am Glasschrank saßen, alles, was ihr mit dem Nussknacker und dem Mausekönig widerfahren, und worauf es nun ankomme, den Nussknacker zu retten. Über nichts wurde Fritz nachdenklicher, als darüber, dass sich, nach Mariens Bericht, seine Mammuts [ ] in der Schlacht so feige [ ] benommen haben sollten. Er frug noch einmal sehr ernst, ob es sich wirklich so verhalte, und nachdem es Marie auf ihr Wort versichert, so ging Fritz schnell nach dem Glasschrank, [ ]und nahm ein prächtiges, wolliges Mammut heraus: "Dieses muss so mutig sein, es ist das größte und mächtigste aus meiner Sammlung. Außerdem schuldet es mir noch einen Gefallen, schließlich füttere ich es jeden Tag mit einer extra-großen Portion Holzwolle. Es ist dadurch allerdings auch recht korpulent geworden." Dann belehrte er das Mammut über die Wichtigkeit seiner Aufgabe und reichte es dem Nussknacker.
Vor bangem Grauen konnte Marie in der folgenden Nacht nicht einschlafen, es war ihr um Mitternacht so, als höre sie im Wohnzimmer ein seltsames Rumoren, Klirren und Rauschen. Mit einemmal ging es: "Quiek!" "Der Mausekönig! der Mausekönig!" rief Marie, und sprang voll Entsetzen aus dem Bette. Alles blieb still; aber bald klopfte es leise, leise an die Türe, und ein feines Stimmchen ließ sich vernehmen:
"Allerbeste Demoiselle Stahlbaum, machen Sie nur getrost auf gute fröhliche Botschaft!" Marie erkannte die Stimme [ ], warf ihr Röckchen über, und öffnete flugs die Türe. Nussknackerlein [ ] war draußen, stolz reitend auf dem Mammut. [ ] Sowie er Marien erblickte, stieg er ab, ließ er sich auf ein Knie nieder, und sprach also: "Ihr, o Dame! seid es allein, die mich mit Rittermut stählte, und [ ] diesem Mammut Kraft gab, den Übermütigen zu bekämpfen, der es wagte, Euch zu höhnen. Überwunden liegt der verräterische Mausekönig und ist dünn und platt wie eine Flunder [ ] Wollet, o Dame! die Zeichen des Sieges aus der Hand Eures Euch bis in den Tod ergebenen Ritters anzunehmen nicht verschmähen!" Damit streifte Nussknackerchen die sieben goldenen Kronen des Mausekönigs, die er auf den linken Arm heraufgestreift hatte, sehr geschickt herunter, und überreichte sie Marien, welche sie voller Freude annahm.
Dir, geneigter Leser, werde ich offenbaren, was sich vor der Türe zugetragen hatte: Der Nussknacker war auf dem Mammut reitend in die Schlacht gezogen. Als das Riesentier die kleine Maus sah, wendete es und wollte flüchten. Nussknacker, des Reitens nicht mehr so geübt, wollte es zur Umkehr zwingen, rief "Hooo", öffnete dabei aber nicht nur die Zähne, sondern rammte dem Tier gleichzeitig seinen Holzhebel ins Fell. Das Mammut, vom Schmerz gepeinigt, setzte sich auf der Stelle hin. Dabei plättete es aber den Mäusekönig, der sich gleich hinter ihm befand.
Nussknacker stand auf, und fuhr also fort: "Ach meine allerbeste Demoiselle Stahlbaum, was könnte ich in diesem Augenblicke, da ich meinen Feind überwunden, Sie für herrliche Dinge schauen lassen, wenn Sie die Gewogenheit hätten, mir nun ein paar Schrittchen zu folgen! O tun Sie es tun Sie es, beste Demoiselle!"
Das Puppenreich
Ich glaube, keins von euch, ihr Kinder, hätte auch nur einen Augenblick angestanden, dem ehrlichen gutmütigen Nussknacker, der nie Böses im Sinn haben konnte, zu folgen. Marie tat dies umso mehr, da sie wohl wusste, wie sehr sie auf Nussknackers Dankbarkeit Anspruch machen könne, und überzeugt war, dass er Wort halten, und viel Herrliches ihr zeigen werde. Sie sprach daher: "Ich gehe mit Ihnen, [ ] doch muss es nicht weit sein, und nicht lange dauern, da ich ja noch gar nicht ausgeschlafen habe." "Ich wähle deshalb", erwiderte Nussknacker, "den nächsten, wiewohl etwas beschwerlichen Weg."
Er schritt voran, Marie ihm nach, bis er vor dem alten mächtigen Kleiderschrank auf dem Hausflur stehenblieb. Marie wurde zu ihrem Erstaunen gewahr, dass die Türen dieses sonst wohl verschlossenen Schranks offenstanden, so dass sie deutlich des Vaters [ ]pelz erblickte, der ganz vorne hing. Nussknacker kletterte sehr geschickt an den Leisten und Verzierungen herauf, dass er die große Troddel, die an einer dicken Schnur befestigt, auf dem Rückteile jenes Pelzes hing, erfassen konnte. Sowie Nussknacker diese Troddel stark anzog, ließ sich schnell eine sehr zierliche Treppe von Zedernholz durch den Pelzärmel herab. "Steigen Sie nur gefälligst aufwärts, teuerste Demoiselle", rief Nussknacker.
Marie tat es, aber kaum war sie durch den Ärmel gestiegen, kaum sah sie zum Kragen heraus, als ein blendendes Licht ihr entgegenstrahlte, und sie mit einemmal auf einer herrlich duftenden Wiese stand, von der Millionen Funken, wie blinkende Edelsteine emporstrahlten. "Wir befinden uns auf der Kandiswiese", sprach Nussknacker, "wollen aber alsbald jenes Tor passieren." Nun wurde Marie, indem sie aufblickte, erst das schöne Tor gewahr, welches sich nur wenige Schritte vorwärts auf der Wiese erhob. Es schien ganz von weiß, braun und rosinfarben gesprenkeltem Marmor erbaut zu sein, aber als Marie näher kam, sah sie wohl, dass die ganze Masse aus zusammengebackenen Zuckermandeln und Rosinen bestand, weshalb denn auch, wie Nussknacker versicherte, das Tor, durch welches sie nun durchgingen, das Mandeln- und Rosinentor hieß. Gemeine Leute hießen es sehr unziemlich, die Studentenfutterpforte. Auf einer herausgebauten Galerie dieses Tores, augenscheinlich aus Gerstenzucker, machten sechs in rote Wässerchen gekleidete Äffchen die allerschönste Janitscharenmusik, die man hören konnte, so dass Marie kaum bemerkte, wie sie immer weiter, weiter auf bunten Marmorwiesen, die aber nichts anders waren, als schön gearbeitete Morschellen, fortschritt. Bald umwehten sie die süßesten Gerüche, die aus einem wunderbaren Wäldchen strömten, das sich von beiden Seiten auftat. In dem dunkeln Laube glänzte und funkelte es so hell hervor, dass man deutlich sehen konnte, wie goldene und silberne Früchte an buntgefärbten Stengeln herabhingen, und Stamm und Äste sich mit Bändern und Blumensträußen geschmückt hatten, gleich fröhlichen Brautleuten und lustigen Hochzeitsgästen. Und wenn die Orangendüfte sich wie wallende Zephire rührten, da sauste es in den Zweigen und Blättern, und das Rauschgold knitterte und knatterte, dass es klang wie jubelnde Musik, nach der die funkelnden Lichterchen hüpfen und tanzen müssten. "Ach, wie schön ist es hier", rief Marie ganz selig und entzückt.
"Wir sind im Weihnachtswalde, beste Demoiselle", sprach Nussknackerlein. "Ach", fuhr Marie fort, dürft ich hier nur etwas verweilen, o es ist ja hier gar zu schön." Nussknacker klatschte in die kleinen Händchen und sogleich kamen einige kleine Schäfer und Schäferinnen, Jäger und Jägerinnen herbei, die so zart und weiß waren, dass man hätte glauben sollen, sie wären von purem Zucker und die Marie, unerachtet sie im Walde umherspazierten, noch nicht bemerkt hatte. Sie brachten einen allerliebsten ganz goldenen Lehnsessel herbei, legten ein weißes Kissen [ ] darauf, und luden Marien sehr höflich ein, sich darauf niederzulassen. Kaum hatte sie es getan, als Schäfer und Schäferinnen ein sehr artiges Ballett tanzten, wozu die Jäger ganz manierlich bliesen, dann verschwanden sie aber alle in dem Gebüsche. [ ]
Rasch eilte Nussknacker vorwärts, und Marie voller Neugierde ihm nach. Nicht lange dauerte es, so stieg ein herrlicher Rosenduft auf und alles war wie von einem sanften hinhauchenden Rosenschimmer umflossen. Marie bemerkte, dass dies der Widerschein eines rosenrot glänzenden Wassers war, das in kleinen rosasilbernen Wellen vor ihnen her wie in wunderlieblichen Tönen und Melodien plätscherte und rauschte. Auf diesem anmutigen Gewässer, das sich immer mehr und mehr wie ein großer See ausbreitete, schwammen sehr herrliche silberweiße Schwäne mit goldnen Halsbändern, und sangen miteinander um die Wette die hübschesten Lieder, wozu diamantne Fischlein aus den Rosenfluten auf- und niedertauchten wie im lustigen Tanze. [ ]
Die Hauptstadt
Nussknackerlein klatschte abermals in die kleinen Händchen, da fing der Rosensee an stärker zu rauschen, die Wellen plätscherten höher auf, und Marie nahm wahr, wie aus der Ferne ein aus lauter bunten, sonnenhell funkelnden Edelsteinen geformter Muschelwagen, von zwei goldschuppigen Delphinen gezogen, sich nahte. Zwölf kleine allerliebste [ ] Diener mit Mützchen und Schürzchen, aus glänzenden Kolibrifedern gewebt, sprangen ans Ufer und trugen erst Marien, dann Nussknackern, sanft über die Wellen gleitend, in den Wagen, der sich alsbald durch den See fortbewegte. Ei wie war das so schön, als Marie im Muschelwagen, von Rosenduft umhaucht, von Rosenwellen umflossen, dahinfuhr. Die beiden goldschuppigen Delphine erhoben ihre Nüstern und spritzten kristallene Strahlen hoch in die Höhe, und wie die in flimmernden und funkelnden Bogen niederfielen, da war es, als sängen zwei holde feine Silberstimmchen:
"Wer schwimmt auf rosigem See? die Fee! Mücklein! bim bim Fischlein, sim sim Schwäne! Schwa schwa, Goldvogel! trarah, Wellenströme rührt euch, klinget, singet, wehet, spähet Feelein, Feelein kommt gezogen; Rosenwogen, wühlet, kühlet, spület spült hinan hinan!"
Nun rief Nussknacker: "[ ] Dort ist die Hauptstadt." Was erblickte Marie nun! Wie werd ich es denn anfangen, euch, ihr Kinder die Schönheit und Herrlichkeit der Stadt zu beschreiben, die sich jetzt breit über einen reichen Blumenanger hin vor Mariens Augen auftat. Nicht allein dass Mauern und Türme in den herrlichsten Farben prangten, so war auch wohl, was die Form der Gebäude anlangt, gar nichts Ähnliches auf Erden zu finden. Denn statt der Dächer hatten die Häuser zierlich geflochtene Kronen aufgesetzt, und die Türme sich mit dem zierlichsten buntesten Laubwerk gekränzt, das man nur sehen kann. Als sie durch das Tor, welches so aussah, als sei es von lauter Makronen und überzuckerten Früchten erbaut, gingen, präsentierten silberne Soldaten das Gewehr und ein Männlein in einem brokatnen Schlafrock warf sich dem Nussknacker an den Hals mit den Worten: "Willkommen, bester Prinz, willkommen in Konfektburg!" Marie wunderte sich nicht wenig [ ].
Eines lauten Rufs der Bewunderung, ja des höchsten Erstaunens konnte sich Marie aber nicht enthalten, als sie jetzt mit einemmal vor einem in rosenrotem Schimmer hell leuchtenden Schlosse mit hundert luftigen Türmen stand. Nur hin und wieder waren reiche Bouquets von Veilchen, Narzissen, Tulpen, Levkojen auf die Mauern gestreut, deren dunkelbrennende Farben nur die blendende, ins Rosa spielende Weiße des Grundes erhöhten. Die große Kuppel des Mittelgebäudes, sowie die pyramidenförmigen Dächer der Türme waren mit tausend golden und silbern funkelnden Sternlein besäet. "Nun sind wir vor dem Marzipanschloß", sprach Nussknacker. Marie war ganz verloren in dem Anblick des Zauberpalastes, doch entging es ihr nicht, dass das Dach eines großen Turmes gänzlich fehlte, welches kleine Männerchen, die auf einem von Zimtstangen erbauten Gerüste standen, wiederherstellen zu wollen schienen. Noch ehe sie den Nussknacker darum befragte, fuhr dieser fort. "Vor kurzer Zeit drohte diesem schönen Schloss arge Verwüstung, wo nicht gänzlicher Untergang. Der Riese Leckermaul kam des Weges gegangen, biss schnell das Dach jenes Turmes herunter und nagte schon an der großen Kuppel, die Konfektbürger brachten ihm aber ein ganzes Stadtviertel, sowie einen ansehnlichen Teil des Konfitürenhains als Tribut, womit er sich abspeisen ließ und weiterging."
In dem Augenblick ließ sich eine sehr angenehme sanfte Musik hören, die Tore des Schlosses öffneten sich und es traten zwölf kleine Pagen heraus mit angezündeten Gewürznelkstengeln, die sie wie Fackeln in den kleinen Händchen trugen. Ihre Köpfe bestanden aus einer Perle, die Leiber aus Rubinen und Smaragden und dazu gingen sie auf sehr schön aus purem Gold gearbeiteten Füßchen einher. Ihnen folgten vier Damen, beinahe so groß als Mariens Clärchen, aber so über die Maßen herrlich und glänzend geputzt, dass Marie nicht einen Augenblick in ihnen die gebornen Prinzessinnen verkannte. Sie umarmten den Nussknacker auf das zärtlichste und riefen dabei wehmütig freudig: "O mein Prinz! mein bester Prinz! o mein Bruder!" Nussknacker schien sehr gerührt, er wischte sich die sehr häufigen Tränen aus den Augen, ergriff dann Marien bei der Hand und sprach pathetisch:
"Dies ist die Demoiselle Marie Stahlbaum, die Tochter eines sehr achtungswerten Medizinalrates, und die Retterin meines Lebens! Warf sie nicht den Pantoffel zur rechten Zeit, verschaffte sie mir nicht das mutige Mammut[ ], so läg ich, zerbissen von dem fluchwürdigen Mausekönig, im Grabe. Oh! dieser Demoiselle Stahlbaum! gleicht ihr wohl Pirlipat, obschon sie eine geborne Prinzessin ist, an Schönheit, Güte und Tugend? Nein, sag ich, nein!" Alle Damen riefen: "Nein!" und fielen der Marie um den Hals und riefen schluchzend: "O Sie edle Retterin des geliebten prinzlichen Bruders vortreffliche Demoiselle Stahlbaum!" Nun geleiteten die Damen Marien und den Nussknacker in das Innere des Schlosses, und zwar in einen Saal, dessen Wände aus lauter farbig funkelnden Kristallen bestanden. Was aber vor allem übrigen der Marie so wohlgefiel, waren die allerliebsten kleinen Stühle, Tische, Kommoden, Sekretärs u.s.w. die ringsherum standen, und die alle von Zedern- oder Brasilienholz mit daraufgestreuten goldnen Blumen verfertigt waren. Die Prinzessinnen nötigten Marien und den Nussknacker zum Sitzen, und sagten, dass sie sogleich selbst ein Mahl bereiten wollten. Nun holten sie eine Menge kleiner Töpfchen und Schüsselchen von dem feinsten japanischen Porzellan, Löffel, Messer und Gabeln, Reibeisen, Kasserollen und andere Küchenbedürfnisse von Gold und Silber herbei. Dann brachten sie die schönsten Früchte und Zuckerwerk, wie es Marie noch niemals gesehen hatte, und fingen an, auf das zierlichste mit den kleinen schneeweißen Händchen die Früchte auszupressen, das Gewürz zu stoßen, die Zuckermandeln zu reiben, kurz so zu wirtschaften, dass Marie wohl einsehen konnte, wie gut sich die Prinzessinnen auf das Küchenwesen verstanden, und was das für ein köstliches Mahl geben würde. Im lebhaften Gefühl, sich auf dergleichen Dinge ebenfalls recht gut zu verstehen, wünschte sie heimlich, bei dem Geschäft der Prinzessinnen selbst tätig sein zu können. Die schönste von Nussknackers Schwestern, als ob sie Mariens geheimen Wunsch erraten hätte, reichte ihr einen kleinen goldnen Mörser mit den Worten hin: "O süße Freundin, teure Retterin meines Bruders, stoße eine Wenigkeit von diesem Zuckerkandel!" Als Marie nun so wohlgemut in den Mörser stieß, dass er gar anmutig und lieblich, wie ein hübsches Liedlein ertönte, fing Nussknacker an sehr weitläufig zu erzählen, wie es bei der grauenvollen Schlacht zwischen seinem und des Mausekönigs Heer ergangen, wie er der Feigheit seiner Truppen halber geschlagen worden, wie dann der abscheuliche Mausekönig ihn durchaus zerbeißen wollen, und Marie deshalb mehrere seiner Untertanen, die in ihre Dienste gegangen, aufopfern müssen u.s.w. Marien war es bei dieser Erzählung, als klängen seine Worte, ja selbst ihre Mörserstöße, immer ferner und unvernehmlicher, bald sah sie silberne Flöre wie dünne Nebelwolken aufsteigen, in denen die Prinzessinnen die Pagen, der Nussknacker, ja sie selbst schwammen ein seltsames Singen und Schwirren und Summen ließ sich vernehmen, das wie in die Weite hin verrauschte; nun hob sich Marie wie auf steigenden Wellen immer höher und höher höher und höher höher und höher
Beschluss
Prr Puff ging es! Marie fiel herab aus unermesslicher Höhe. Das war ein Ruck! Aber gleich schlug sie auch die Augen auf, da lag sie in ihrem Bettchen, es war heller Tag, und die Mutter stand vor ihr, sprechend: "Aber wie kann man auch so lange schlafen, längst ist das Frühstück da!" Du merkst es wohl, versammeltes, höchst geehrtes Publikum, dass Marie ganz betäubt von all den Wunderdingen, die sie gesehen, endlich im Saal des Marzipanschlosses eingeschlafen war, und dass die [ ] die Pagen oder gar die Prinzessinnen selbst, sie zu Hause getragen und ins Bett gelegt hatten. "O Mutter, liebe Mutter, wo hat mich der junge [ ] Nussknacker diese Nacht überall hingeführt, was habe ich alles Schönes gesehen!" Nun erzählte sie alles beinahe so genau, wie ich es soeben erzählt habe, und die Mutter sah sie ganz verwundert an. Als Marie geendet, sagte die Mutter: "Du hast einen langen sehr schönen Traum gehabt, liebe Marie, aber schlag dir das alles nur aus dem Sinn." Marie bestand hartnäckig darauf, dass sie nicht geträumt, sondern alles wirklich gesehen habe, da führte die Mutter sie an den Glasschrank, nahm den Nussknacker, der, wie gewöhnlich, im dritten Fache stand, heraus und sprach: "Wie kannst du, du albernes Mädchen nur glauben, dass diese Nürnberger Holzpuppe Leben und Bewegung haben kann." [ ]
Sprechen durfte nun Marie nicht mehr von ihrem Abenteuer, aber die Bilder jenes wunderbaren Feenreichs umgaukelten sie in süßwogendem Rauschen und in holden lieblichen Klängen; sie sah alles noch einmal, sowie sie nur ihren Sinn fest darauf richtete, und so kam es, dass sie, statt zu spielen, wie sonst, starr und still, tief in sich gekehrt, dasitzen konnte, weshalb sie von allen eine kleine Träumerin gescholten wurde.
[ ] Eines Tages, Marie saß am Glasschrank, und schaute, in ihre Träume vertieft, den Nussknacker an, da fuhr es ihr wie unwillkürlich heraus: "Ach, lieber Herr [ ], wenn Sie doch nur wirklich lebten, ich würd's nicht so machen, wie Prinzessin Pirlipat, und Sie verschmähen, weil Sie, um meinetwillen, aufgehört haben, ein hübscher junger Mann zu sein!" [ ]
Aber in dem Augenblick geschah auch ein solcher Knall und Ruck, dass Marie ohnmächtig vom Stuhle sank. Als sie wieder erwachte, war die Mutter um sie beschäftigt, und sprach: "Aber wie kannst du nur vom Stuhle fallen, ein so großes Mädchen! Hier ist [ ] Besuch angekommen, ein junger Herr aus Nürnberg [ ] sei hübsch artig!" [ ] An [ ] ihrer Hand hielt sie [ ] einen zwar kleinen, aber sehr wohlgewachsenen jungen Mann. Wie Milch und Blut war sein Gesichtchen, er trug einen herrlichen roten Rock mit Gold, weißseidene Strümpfe und Schuhe, hatte im Jabot ein allerliebstes Blumenbouquet, war sehr zierlich frisiert und gepudert, und hinten über den Rücken hing ihm ein ganz vortrefflicher Zopf herab. Der kleine Degen an seiner Seite schien von lauter Juwelen, so blitzte er, und das Hütlein unterm Arm von Seidenflocken gewebt. Welche angenehmen Sitten der junge Mann besaß, bewies er gleich dadurch, dass er Marien eine Menge herrlicher Spielsachen, vorzüglich aber den schönsten Marzipan und dieselben Figuren, welche der Mausekönig zerbissen, [ ] mitgebracht hatte. Bei Tische knackte der Artige für die ganze Gesellschaft Nüsse auf, die härtesten widerstanden ihm nicht, mit der rechten Hand steckte er sie in den Mund, mit der linken zog er den Zopf an Krak zerfiel die Nuss in Stücke! Marie war glutrot geworden, als sie den jungen artigen Mann erblickte, und noch röter wurde sie, als nach Tische der junge Herr [ ] sie einlud, mit ihm in das Wohnzimmer an den Glasschrank zu gehen. "Spielt nur hübsch miteinander, ihr Kinder, ich habe nun, da alle meine Uhren richtig gehen, nichts dagegen", rief der Obergerichtsrat. Kaum war aber der junge [ ] Herr mit Marien allein, als er sich auf ein Knie niederließ, und also sprach:
"O meine allervortrefflichste Demoiselle Stahlbaum sehn Sie hier zu Ihren Füßen den beglückten Mann, dem Sie an dieser Stelle das Leben retteten! Sie sprachen es gütigst aus, dass Sie mich nicht wie die garstige Prinzessin Pirlipat verschmähen wollten, wenn ich Ihretwillen hässlich geworden! sogleich hörte ich auf ein schnöder Nussknacker zu sein, und erhielt meine vorige nicht unangenehme Gestalt wieder. O vortreffliche Demoiselle, beglücken Sie mich mit Ihrer werten Hand, teilen Sie mit mir Reich und Krone, herrschen Sie mit mir auf Marzipanschloss, denn dort bin ich jetzt König!" Marie hob den Jüngling auf, und sprach leise:
"Lieber Herr [ ]! Sie sind ein sanftmütiger guter Mensch, und da Sie dazu noch ein anmutiges Land mit sehr hübschen lustigen Leuten regieren, so nehme ich Sie zum Bräutigam an!" Hierauf wurde Marie sogleich [ ] seine Braut. Nach Jahresfrist hat er sie, wie man sagt, auf einem [ ] wollhaarigen Mammuts [ ] gezogenen Wagen abgeholt. Auf der Hochzeit tanzten zweiundzwanzigtausend der glänzendsten mit Perlen und Diamanten geschmückten Figuren, und Marie soll noch zur Stunde Königin eines Landes sein, in dem man überall funkelnde Weihnachtswälder, durchsichtige Marzipanschlösser, kurz, die allerherrlichsten wunderbarsten Dinge erblicken kann, wenn man nur darnach Augen hat.
Quelle: E.T.A. Hoffmann: Nussknacker und Mausekönig. (Projekt Gutenberg/ Spiegel online)
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